Menschen auf ihren letzten Metern – End-of-life-decision auf der ICU

von Lisa Zwirchmayr

Therapie am Lebensende auf der Intensivstation hat unendlich viele Grauschattierungen. Wie das Leben, ist auch das Sterben nicht schwarz oder weiß. Therapiezieländerungen und die Thematik „End-of-life-decision“ stellt viele Teams vor eine enorme Hürde, denn nicht selten sorgen die Entscheidungen der Mediziner*innen für hitzige Diskussionen im Behandlungsteam. Um dieses Phänomen verstehen zu können, empfiehlt sich eine Betrachtung aus verschiedensten Blickwinkeln.

Der Status quo lässt sich, wie folgt, beschreiben: Die ohnehin schon schwierige Situation der Therapiezieländerung ist oftmals von zahlreichen Hindernissen geprägt. Neben dem Kernteam der Behandler*innen, bestehend aus Intensivpflege sowie Intensivmediziner*innen, haben auch noch involvierte verwandte medizinische Disziplinen eine Meinung zur im Raum stehenden Therapiezieländerung – von den Angehörigen einmal abgesehen. Diese Stimmen, ob Therapiezieländerung ja oder nein, auf einen Konsens zu bringen, vor allem in einem Setting, in welchem der Patient/die Patientin nicht mehr fähig zur Meinungsäußerung ist, präsentiert sich nicht nur in der Theorie hochkomplex, sondern ist es auch ebenso in der Praxis. Die Therapiezieländerung wird, rechtlich betrachtet, alleinig von diensthabenden Intensivmediziner*innen getroffen. Oftmals auch von Personen, welche den Patienten/die Patientin sowie den bisherigen Weg nicht ausreichend kennen und darüber gar nicht bis wenig ins Bild gesetzt werden. Auch die sogenannte „Machbarkeitsmedizin“ hat immer mehr Einzug in die Gesundheitsversorgung der wohlhabenden Länder gehalten – in Entwicklungsländern kämpft man währenddessen um die Sicherstellung der Grundversorgung – dies wirft wiederum nicht nur ethische, sondern auch ökonomische Fragen auf. Um die professionelle Sicht der anderen Berufsgruppen bezüglich der weiteren Durchführung einer Therapie in die Entscheidung inkludieren zu können, müssen diese aktiv dazu aufgefordert werden. Eine verpflichtende Bezugnahme auf andere Professionen ist gesetzlich nicht vorgesehen – vielleicht wäre die Verteilung einer solchen lebens-be/ver-ändernden Entscheidung auf mehrere Rücken keine schlechte Sache.

Aus Sicht der Pflege stellt sich die Frage, ob eine, auch rechtliche, Involvierung des Berufsstandes in die Entscheidungsfindung von Vorteil wäre und ob die Pflegepraxis hierzu schon bereit ist. Therapiezieländerungen sorgen nicht selten für hitzige Fachdiskussionen zwischen den behandelten Akteur*innen –  die Pflege, welche sehr wohl in den Diskurs rund um Therapiezieländerungen involviert werden muss, involviert sich viel zu selten selbst. Eine Akzeptanz des Gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege auf Augenhöhe würde auch eine (rechtliche) Inkludierung in patient*innenbezogene Entscheidungsfindung bedeuten.

Ethische Entscheidungsmodelle, wie zum Beispiel eine strukturierte ethische Evaluation der Therapieoptionen oder die moderierte Fallbesprechung gemeinsam mit einem klinischen Ethikkomitee, würde die Entscheidungsfindung im Sinne der Betroffenen erleichtern.

Der Schlüssel in dieser Problemkonstellation ist aber wohl, wie so oft, die Kommunikation im Team und mit den Angehörigen – und auch diese will gelernt sein. Ärzt*innen in der Ausbildung sind oft vom Zufall abhängig, ob sie auf Vorgesetzte treffen, die ihnen strukturiert zeigen, wie Gesprächsführung in schwierigen Situationen umgesetzt werden kann, die sie mitnehmen, beobachten lassen, anleiten und damit Möglichkeiten zum Lernen schaffen. Ein falsches Wort in einem Angehörigengespräch kann die gesamte Betreuungssituation zum Kippen bringen. Gesprächsführung muss also gelernt werden, indem sie gelehrt wird – schon im Studium wie auch später im Behandlungsteam.

Gemeinsam die Situation der Patient*innen am Bett täglich zu evaluieren, ist ein weiterer wichtiger Bestandteil der Therapiezieländerung. Nur wenn wir die Patient*innen physisch vor Augen haben, mit ihnen arbeiten können, sind wir in der Lage, zu begreifen, ob die Situation weiterhin tragbar, die Therapie überhaupt zumutbar ist.

Am Ende kann man sich immer fragen, ob Mediziner*in sein auch bedeutet, sich zwischen die Patient*innen und die künstlichen Apparate zu stellen. Auch das Sterben muss als Teil des Behandlungsprozesses verstanden werden – von allen beteiligten Professionen.

Mehr Input hierzu finden Sie in der Episode gepflegt:lautdenken mit Lisa Zwirchmayr „Menschen auf ihren letzten Metern– Therapiezieländerung und End-of-life-decision auf der Intensivstation“ sowie unter nachfolgenden Links.

Weiterführende Quellen:

ÖGARI-Publikation:  Ethische Herausforderungen des Alters

Ein interdisziplinäres, fallorientiertes Praxisbuch für Medizin, Pflege und Gesundheitsberufe (2019)

https://www.oegari.at/arbeitsgruppen/arge-ethik-in-anaesthesie-und-intensivmedizin/856

div. Beiträge auf der Website des Instituts für Medizinische Antropologie und Bioethik

https://www.imabe.org/home

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Lisa Zwirchmayr, BSc MSc, ist Gesundheits- und Krankenpflegeperson im Bereich der Kinder- und Erwachsenenintensivpflege sowie Content-Creator für das pflegenetz. Sie beendete 2016 das Bachelorstudium Gesundheits- und Krankenpflege und ist seit 2020 Absolventin des Master-Studienganges Angewandte Gesundheitswissenschaften der IMC Fachhochschule Krems.

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